„Ich erinnere mich an die Tage, an denen ich früh morgens aufstand, um zur Schule zu gehen und mit Freude zu lernen. Als der Unterricht begann, konkurrierten meine Klassenkameraden und ich in allen Fächern. Jeder in der Klasse versuchte, den Lehrer zu überzeugen, um eine positive Note zu bekommen. Das Thema der Gespräche zwischen meinen Freunden und mir war, was unsere Ziele für die Zukunft sind und welchen Beruf wir ausüben möchten. Ein Mädchen wollte Ingenieurin werden, ein Mädchen Lehrerin und ein anderes beschwerte sich über das Arbeitssystem der Behörden und wollte selbst Politikerin werden, um Frauen und Mädchen Rechte und Freiheit zu geben. Aber all dies blieb in Form eines Wunsches. Wenn ich heute an der Schule vorbeigehe, kommen mir unbewusst die Tränen. Ich starre auf das Fenster des Klassenzimmers, in dem ich gelernt habe, und stelle mir all die Träume vor, die unter dem Boden dieser Schule begraben wurden.“ Das war ein Text eines afghanischen Mädchens, en meine Mutter mir mal vorlas.
Sehr geehrtes Publikum, heute möchte ich Ihnen etwas über die tragische Situation der afghanischen Frauen und Mädchen erzählen.
Seit 1978 kennen die Menschen in Afghanistan keinen Frieden mehr. Ihre Kinder wissen nicht, wie es ist rauszugehen, ihre Freunde zu treffen ohne den Hintergedanken, dass es ihr letzter Tag sein könnte. Sie leben in Armut, unter ständigen Bombardierungen und unter den fatalsten Umständen. Trotzdem blieben sie stark, standhaft und verteidigten ihr Land, ihre Mitmenschen, ihre Familien und ihre Unabhängigkeit. Am 16. August 2021 stürzten die Taliban das afghanische Regime. Die Frauen hatten zwar davor auch nicht viele Rechte, ihnen wurde nicht so viel gezahlt und sie hatten viele Schwierigkeiten, in sozialen und politischen Positionen gleichberechtigt zu werden wie Männer, dennoch waren die Fortschritte, die sie gemacht hatten, klar sichtbar. Doch an diesem Tag verloren sie das alles. Die Taliban nahmen den Frauen und Mädchen alle Rechte und Freiheiten.
Sich sicher zu fühlen, Recht auf eine Ausbildung, auszusuchen, was man anziehen will, Meinungsfreiheit, Recht auf eine Arbeit und auf Wissen. Dies sind nur ein paar der Privilegien, die heutzutage für viele selbstverständlich sind. Aber in Afghanistan unvorstellbar.
Wir alle beschweren uns manchmal, dass wir keine Lust auf Lernen und auf Schule haben. Doch in Afghanistan kämpfen Mädchen für dieses Recht.
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, es genügt, nur an das letzte europäische Jahrhundert zurückzudenken. Damals war Gleichberechtigung ein Thema, das keine Aufmerksamkeit bekam. Die Leute konnten sich nicht mal vorstellen, wie es wäre, wenn Frauen und Männer gleichrangig wären. Das sind doch genau die Gedanken, bei denen man Gänsehaut bekommt und sich denkt, dass man froh ist, dass diese Zeiten Vergangenheit sind. Vergangenheit? Diese grausame „Vergangenheit´´ ist Realität und Alltag in Afghanistan. Die Taliban glauben, dass Frauen minderwertig sind und in die Küche gehören. Ihre einzigen Aufgaben sind es, Männer zu ernähren, das Haus zu putzen, Kinder zu gebären und sich um diese zu kümmern.
Aus einem Land voller Kultur, Freude und Mut wurde ein Land, das von Angst, Armut, Unterdrückung und Ignoranz geprägt ist. Die Menschen dort haben die Hoffnung aufgegeben. Und keiner hilft ihnen.
Am 24. Jänner war der internationale Tag der Bildung, der den Frauen in Afghanistan gewidmet wurde. Aber das allein reicht nicht aus! Die Frauen dort wollen nicht nur den internationalen Tag der Bildung, sie wollen die Bildung selbst. Sie möchten Chancen auf eine erfolgreiche Zukunft. Die Möglichkeit, selbstständig zu sein und für sich selbst zu sorgen. Es muss etwas getan werden! Und dennoch wissen die meisten nicht mal, mit welchen Problemen Afghanistan zu kämpfen hat.
In den Medien hören Sie immer wieder von den Schlachten, die iranische Frauen für das Recht auf Selbstbestimmung führen. Sie hören immer wieder, was gerade Neues in der Ukraine passiert ist, aber dabei sollten Sie nicht das Land, das schon seit Jahrzehnten blutet, vergessen.
Es gibt ein persisches Sprichwort, das erklärt: Wir sitzen alle im selben Boot und jeder hat seinen eigenen Platz. Doch wenn einer ein Loch ins Boot stechen will mit der Aussage: „Ist doch mein Platz, ich kann tun, was ich will“, würden alle anderen versuchen, diese Person zu stoppen. Warum? Weil, wenn nur ein Loch in das Boot gelangt, alle anderen ertrinken würden. Dieses Sprichwort will sagen, dass wir alle Menschen sind, die auf derselben Erde leben. Wieso versuchen wir dann nicht, einander zu helfen, anstatt wegzuschauen?
Ich selbst bin ein afghanisches Mädchen, das eine Zeit lang in Afghanistan war. Meine Familie und ich, wir haben Freunde und Verwandte in Afghanistan, die uns immer wieder Berichte geben, wie schlimm sich die Verhältnisse dort verändert haben. Immer wieder erzählen sie über neue und absurde Regeln und Verbote für Frauen. Das ist unter anderem auch einer der Gründe, wieso es mir ein besonderes Anliegen ist, Sie und euch über mein Heimatland Afghanistan zu informieren und euch darauf aufmerksam zu machen. Denn der beste Weg, den Menschen in Afghanistan zu helfen, ist, wenn man über sie redet. Und dabei spielt es keine Rolle, ob man was ins Netz postet, ob man es der Familie berichtet oder ob man es bei einem Gespräch zwischen seinen Freunden oder Verwandten erwähnt. Man darf niemals schweigen! Denn auf dieser Weise wird ihre Geschichte mit der Welt geteilt. Bis es irgendwann nicht mehr ignoriert werden kann.
Zum Schluss möchte ich Ihnen ein Gedicht, das von dem persischen Dichter Saadi geschrieben wurde, mitgeben: „Adams Kinder sind fest miteinander verbunden, da sie der Schöpfung aus einer einzigen Perle entstünden. Fügt schon ein einziges Glied Leid hinzu der Welt, die anderen Glieder solches Tun in Aufruhr hält. Dir, der dich Not und Pein der anderen nicht berührt, geziemt es nicht, dass dir der Name ,,Mensch“ gebührt.“ Was er wohl damit meinte?
Danke.
Mohadisa Hosseini, Schülerin im Paulinum
Beitrag zum Redewettbewerb in der Kategorie Klassische Rede / 8. Schulstufe