Entwicklung von Resilienz im Kindes- und Jugendalter

Der Begriff und das Konzept der Resilienz ist vergleichsweise jung und wurde erst vor ca. 20 Jahren dank der Kauai Längsschnittstudie (E.Werner&R.Smith 2003) einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Darin wurde eine Gruppe von 1955 geborenen Kindern auf der Insel Kauai (Hawaii) bereits vorgeburtlich und zu vielen weiteren Zeitpunkten während ihrer Kindheit und Jugend bis ins Erwachsenenalter untersucht. Eine Erkenntnis dieser Studie war, dass viele Kinder und Jugendliche, die während ihrer Entwicklung Risikofaktoren ausgesetzt waren, vermehrt von Lern- und Verhaltensstörungen, psychischen Erkrankungen und anderen Schwierigkeiten betroffen waren.

Überraschenderweise fiel aber auch eine Gruppe von Kindern auf, die als Risiko-Kinder eingestuft worden waren, in der Folge aber dennoch zu stabilen und gesunden Persönlichkeiten heranreiften. Vergleichbare Ergebnisse fanden sich auch in anderen Untersuchungen. Besonders diese Erkenntnisse führten dazu, dass „Resilienz“ heute als erstrebenswertes Persönlichkeitsmerkmal in aller Munde ist, ja in manchen Gesellschaftsschichten beinahe schon als unverzichtbares lifestyle-bezogenes „social skill“ gesehen wird.

Das Konzept der Resilienz beschreibt die Fähigkeit eines Menschen, relativ unbeschadet mit den Folgen belastender Lebensumstände umzugehen und Bewältigungskompetenzen zu entwickeln. Diese Fähigkeit eines Individuums, ernsthaften Gefährdungen zu widerstehen, sie zu meistern und sich wieder davon zu erholen, ist nicht ausschließlich angeboren, sondern kann erlernt und entwickelt werden.

Resilienz ist somit auch dynamisch in der Interaktion mit der Umwelt. Entscheidend sind Erfahrungen gelungener Bewältigung, die günstige Bedingungen für die Konfrontation mit zukünftigen Anforderungen schaffen, und eine positive Interaktion mit anderen Menschen, besonders mit nahen Bezugspersonen.

Dem gegenüber bedeutet Vulnerabilität eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Umweltstressoren, die das Risiko einer Beeinträchtigung in der Entwicklung ansteigen lässt. Vulnerabilität kann von Geburt an vorhanden sein, etwa durch genetische Disposition oder pränatale Komplikationen (primäre V.), sie kann aber auch erworben werden, zum Beispiel durch bindungsunsichere Eltern-Kind-Interaktionsmuster oder durch bestimmte Lebensereignisse wie frühe Verluste oder Traumata (sekundäre V.). Phasen potientiell hoher Vulnerabilität begegnen wir an Entwicklungsübergängen (dazu: Erik Erikson 1973: Identität und Lebenszyklus) wie Einschulung, Eintritt ins Berufsleben, und besonders in der Adoleszenz, mit der eine Vielzahl von Veränderungen einhergeht.

Von zentraler Bedeutung ist die positive Bilanz zwischen potentiell schädigenden Risikofaktoren und dem günstigen Einfluss von Schutzfaktoren. Beide Arten von Faktoren hängen mit dem Alter und der Entwicklung zusammen. Ressourcen im Bereich Familie sind besonders für jüngere Kinder lebenswichtig, da diese stark an ihre primären Bezugspersonen gebunden sind und noch keine Ablösung stattgefunden hat.

Selbstwirksamkeit und Lebensplan: Es konnte beobachtet werden, dass resiliente Kinder bereits im Säuglingsalter kontaktfreudiger, emotional ausgeglichener und fröhlicher wirkten als andere Kinder. Im höheren Alter erschienen sie proaktiver, handlungsorientierter und verantwortungsvoller. Sie zeigten den Willen, ihr Leben zu gestalten und glaubten daran, dass dies möglich war.

Bei seelisch robusten Menschen wird eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung gefunden. Das heißt, sie glauben an die Wirksamkeit ihrer Handlungen und schreiben Erfolge ihrem Können - Misserfolge eher dem Zufall zu. Zudem sind sie besser vor Krisen geschützt, weil ihr Selbstwert nicht unbedingt an Erfolge gekoppelt ist. Sie setzen sich realistischere Ziele und packen bei Chancen eher zu. Schwierigkeiten sehen sie als Herausforderungen, verlassen bei Krisen schneller die Opferrolle und bleiben auch in harten Zeiten eher zuversichtlich. Sie fragen aber auch früher um Hilfe. Denn Resilienz bedeutet keinesfalls, unverletzlich oder niemals verzweifelt zu sein.

Stabile Bezugsperson: Werner und Smith stießen auf bestimmte Merkmale wie gutes Aussehen, ein positives Temperament und Intelligenz. Diese Schutzfaktoren lösten positive Reaktionen innerhalb der Umwelt der Kinder aus. Kinder, die häufig lächelten, frühe Sprachfähigkeiten und eine gute Lesefähigkeit ausbildeten, erlebten oft Anerkennung: Erwachsene, die sich für sie interessierten, Lehrer und Erzieher, die sie lobten, Freunde, die sie mochten und unterstützten.

Indem sie ihre Probleme bewältigten, steigerte sich auch ihre Selbstachtung und ihre Selbstwirksamkeit. Oft reifte schon früh ein Lebensplan. Dieses Gefühl von Sinnhaftigkeit, auch daran ist Resilienz gebunden. Der Soziologe Antonovsky spricht von einem Gefühl der inneren Kohärenz. Doch alle Eigenschaften des Kindes, die einen schützenden Effekt hatten, blieben wirkungslos, wenn nicht etwas in der Umwelt hinzukam.

Resiliente Kinder zeigten v.a. eine Gemeinsamkeit: Alle hatten eine stabile Beziehung (auch „Sichere Bindung“) zu einer Bezugsperson, einem Mentor, einer Lehrerin oder Freund:in. Es musste nicht die Mutter oder der Vater sein, aber ein Mensch, der ihre Entwicklung mit stetiger freundlicher Anteilnahme begleitete. Bei einem Mädchen zum Beispiel, deren schwer kranke Mutter nicht ausreichend sensibel und fördernd auf sie eingehen konnte, war es die Musiklehrerin, die seine Begabung entdeckte und dem Mädchen viel Aufmerksamkeit widmete. Sie zeigte ihm, wie man die eigenen Talente nutzt.
Daneben zählen zu den sozialen Schutzfaktoren (jedoch ebenso zu den Risikofaktoren, abhängig von den individuellen Erfahrungen) außerfamiliäre Institutionen wie Schule, Kirche (bzw. Religiosität oder Spiritualität i.w.S.), Vereine und soziale Einrichtungen.

Wie können wir unsere Seele aktiv vor den Folgen von Verlust oder Trauma schützen? Als hilfreich erweist sich ein Netzwerk von Freunden. Menschen mit einem stabilen Freundeskreis können selbst dramatische Ereignisse wie Terroranschläge oder den Verlust eines nahen Angehörigen überstehen, ohne dass ihre Psyche nachhaltigen Schaden nimmt. Resilienz gilt als eine mögliche Erklärung dafür, warum einige Menschen während zum Beispiel eines Trauerprozesses mit vielerlei Schwierigkeiten kämpften, während andere sich schneller von dem Verlust erholten und sich dem Leben wieder aktiv und freudvoll zuwenden konnten. Sie akzeptierten eher, dass das Leben endlich ist, und suchten und fanden mehr soziale Unterstützung.


Peter Norden

ein Beitrag zum Pauliner Forum 79 - aus Platzgründen exklusiv auf unserer Homepage