Im Dialog: MUSEUM der VÖLKER

„Der Standort des Betrachters gehört zum beschriebenen Sujet, wie der Aussichtspunkt zur Landschaft.“

Michael Oppitz: Notwendige Beziehungen. Abriss der strukturalen Anthropologie, 1975 / 1993.

Museen sind spannende Orte – denn man begegnet sich dort selbst: Vorausgesetzt, die Besucher*innen betrachten nicht nur die Dinge, sondern bemerken ihre eigenen Reaktionen auf diese Dinge.

Seit ich 2017 das MUSEUM der VÖLKER in Schwaz leiten darf, laden wir Menschen dazu ein, sich selbst beim Rundgang zu beobachten: wie schaue ich auf Dinge afrikanischer Herkunft, wie auf jene aus Südostasien? Und dann taucht plötzlich ein Ding aus Nordtirol auf, das ganz ähnlich und doch ganz anders dasselbe thematisiert. Wieder ein Perspektivenwechsel?
Das Museum ist wie eine „Zeitreise im Kopf“: Wenn es gelingt, Besucher*innen von heute mit all dem, was sie gegenwärtig mitbringen, mit den Dingen von anderen geografischen und zeitlichen Räumen in Beziehung zu setzen, dann ist die Ausstellung gelungen. Dann erzählen diese Dinge nicht nur etwas über „das Andere“, sondern auch etwas über „das Eigene“ – über mich selbst. Über meine eigene Wahrnehmung von anderen. In einem ethnografischen Museum erzählt jede Ausstellung auch vom so genannten „othering“.

Museen sind Orte der Erinnerungskultur – und sie sind eine zunächst europäische „Erfindung“. Entstanden aus fürstlichen Kunst- und Wunderkammern, sammeln, bewahren, erforschen und zeigen Museen seit ihrer Öffnung für eine breite Bevölkerung „Dinge“. Wir vergewissern uns mit diesen Dingen unserer „Kulturen“. Diese Dinge sind damit materielle Träger des kulturellen Gedächtnisses – sie werden zu Symbolen und Zeugnissen dafür. Museen machen diese Zeugnisse für heutige und zukünftige Deutungen zugänglich. Sie formen damit stark unseren Blick – und können sehr manipulativ sein! Daher ist es wichtig, auch Museen kritisch zu betrachten – sie haben ebenso einen, der oben zitierten, Standorte. Dabei können Museen Sichtweisen festschreiben oder aber nuancenreich verändern, je nachdem, in welchen Kontext die Objekte gesetzt sind.

Viele ethnografische Sammlungen und Museen in Europa entstanden in der Zeit des Kolonialismus im 19. Jahrhundert. Sie hatten die Aufgabe, „das Fremde, das Andere zu zeigen“ und mündeten häufig in subjektiven Festschreibungen: Das Fremde ist fremd, weil wir es als solches definieren. Und es bleibt fremd, wenn das Augenmerk auf Abgrenzung liegt.
Eine aktuelle Aufgabe heutiger ethnografischer Museen – und ihrer Besucher*innen – ist es, einstige Zuschreibungen zu hinterfragen, vertraute Erinnerungen zu prüfen, gewohnte Objekte neu zu sehen.

Das vor 25 Jahren durch den Fotografen und Sammler Gert Chesi gegründete MUSEUM der VÖLKER in Schwaz beherbergt Objekte aus Westafrika und Südostasien, die als Schenkung 2016 an die Stadt Schwaz gingen. Die ursprünglich vor allem als Kunst, bar jeder ethnologischen oder historischen Erklärungen präsentierten Exponate, sollten das Verständnis für außereuropäische Kunst wecken und vertiefen. Es braucht jedoch einen radikalen Blickwechsel, um vom „Zur-Schau-Stellens des Anderen“ oder bloßem „Zeigen von Wertvollem, Schönen oder Schockierenden“ zum Dialog, zum Respekt auf Augenhöhe, zum gemeinsamen Menschlichen zu kommen. Und es braucht dazu vor allem mehrere Stimmen, nicht nur die eine Geschichte, sondern viele. Sehr plausibel und amüsant erzählt dies die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, in einem kurzen, nur 18-minütigen Vortrag über „die Gefahr der einen einzigen Geschichte.

Das MUSEUM DER VÖLKER ist mit den Jahren vielstimmiger geworden. Die Sammlung bietet unzählige Möglichkeiten, von Menschen, historischen Veränderungen und heutiger Aktualität, von kultureller Vielfalt, von politischen und ethischen Diskussionen und den notwendigen Debatten zwischen der so genannten westlichen Welt und zum Beispiel dem völlig irregeleitet als Einheit betrachteten afrikanischen Kontinent zu erzählen. Mit der spannenden Sammlung – und es werden in den letzten Jahren immer wieder interessante Objekte angeboten und geschenkt – werden im MUSEUM DER VÖLKER Fragen verhandelt, die Menschen überall auf der Welt bewegen, die manchmal verblüffend ähnlich, manchmal sehr unterschiedlich beantwortet werden: Woran glauben wir? Wie gehen wir mit dem Tod um? Welches Gesicht hat Angst? Was ist ein besseres Leben? Der eurozentristische Standpunkt könnte in diesem Museum versuchsweise einmal verlassen werden, um die eigene Haltung zu hinterfragen: zum „othering“ oder zu längst fälligen Debatten wie „Fridays for Future“, „Black Lives Matter“ oder „#Me Too“, die die gnadenlose Ausbeutung von Natur und Menschen, die Rassismus und Sexismus anprangern.
Das Museum ist ein spannender Ort – wir freuen uns über Fragen, Diskussion und Dialog!


Lisa Noggler-Gürtler


 

Du sollst Dir (k)ein Bild machen.

In vielen religiösen Gemeinschaften, insbesondere in monotheistischen wie dem Judentum, Zoroastrismus und Islam, teilweise auch im Christentum, gibt oder gab es ein Verbot – jene abzubilden, die verehrungswürdig waren: den einen Gott, bewundernswerte oder nachzuahmende Persönlichkeiten. Zu groß war oder ist der Respekt, das „Unfassbare“ durch Menschen überhaupt darstellen zu können – oder die Befürchtung, mehr eine „Götze“, eine Statue, ein Bildnis anzubeten oder zu bewundern, als sich tatsächlich auf den Weg der Lehre zu machen. Wenn Darstellungen erlaubt sind, werden sie umgekehrt kanonisiert, festgeschrieben – jede künstlerische Freiheit, auch was Stilrichtungen angeht, wird bis heute diskutiert.
Der Ausstellungsbereich „Zwischen Himmel und Erde“ geht auf die Faszination südostasiatischer Religionen und Praktiken in Europa ein, auf Aspekte eines Wandels westlicher Gesellschaften in Bezug auf religiöse Kulturen und säkulare Wertesysteme.

Die langen Schatten der Provenienz

Auch zur Erforschung der Herkunft der Exponate, der Provenienzforschung, hat sich das Museum verpflichtet. Nahezu 90% des kulturellen Erbes von Subsahara-Afrika befinden sich etwa im globalen Norden. Das starke öffentliche Bewusstsein zur Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit von Sammlungsobjekten löste einen internationalen Dialog der Museumscommunity aus, der die ethische Verantwortung im Umgang mit diesen Objekten betrifft und – viel wichtiger – die damalige und aktuelle strukturelle Diskriminierung von Menschen offenlegt. Sehr spannend beschreibt dies Bénédicte Savoy, eine laute Stimme für Provenienz und Rückgabe in ihrem Essay „Die Provenienz der Kultur. Von der Trauer des Verlusts zum universalen Menschheitserbe“.

Gespiegelte Aneignung

Der vergoldete Hut oder Helm repräsentiert einen französischen Militär-Tropenhelm. Er stammt von der französisch kolonialisierten Elfenbeinküste und war im Besitz eines Baule-Oberhauptes.
Das Objekt wird der Kunstrichtung Colon-Stil zugeordnet. Dieser entwickelte sich als eine Form des Widerstands gegen die Kolonialmacht. Die kolonialisierte indigene Bevölkerung verarbeitete, reflektierte oder vereinnahmte europäische Einflüsse. Durch Aneignung konnte man dem Usurpator „begegnen“ – es gibt unzählige Ausprägungen. Koloniale Symbolik wurde in Kunst- oder Alltagsgegenständen, wie Kleidung, verarbeitet, so auch bei diesem Tropenhelm.
Chesi kaufte den Helm, als dieser sich bereits in Europa befand, von einem Sammler in der Schweiz, nun befindet er sich in der Sammlung der Stadt Schwaz.