Die Kunst zu ÜBERleben

Ich wäre fast gestorben.
Das meine ich nicht pathetisch, sondern todernst. Im vergangenen November ist es so passiert.

Schüttelfrost, Kopfschmerzen und hohes Fieber haben mich in die Notaufnahme katapultiert.
Diagnose: Bakterielle Superinfektion. Die Folge: Blutvergiftung und Organversagen.
Und dann: Künstlicher Tiefschlaf. Weg. Ausgeschaltet. Ein Vorgefühl vom Exitus? Irgendwie schon.
Eine Woche lang lag ich unter Vollnarkose auf der Intensivstation.
Ich kann mich an diese Zeit im Koma nicht erinnern.
Meine Eltern dafür umso intensiver.
Täglich haben sie mit meinen Ärzten telefoniert und statt guten Nachrichten nur eine verhaltene Auskunft über meinen Zustand zu hören bekommen.
„Das Fieber steigt wieder.“ - „Jetzt sammelt sich Wasser in der Lunge.“ - „Er ist stabil, aber noch lange nicht über dem Berg.“
Durch die Blutvergiftung, eine angeschwollene Leber und Flüssigkeit in der Lunge war ich in akuter Lebensgefahr.  
Wenn ich das jetzt im Nachhinein erzählt bekomme, spüre ich die Tränen meiner Familie, das Leid im Freundeskreis und ich fühle die Worte der Ärzte.
„Ihr Kind könnte sterben.“ Und ich hätte mich nicht einmal verabschiedet.

Um es abzukürzen: Es war ein Kampf. Für meinen Körper, die Ärzte und mein Umfeld.
Über zehn Kilo habe ich in nur einer Woche verloren und anfangs auch meine Stimme.
Aus einem lebensfrohen, robusten 24-Jährigen, der gut und gerne mitten im Leben steht, ist ein 49 Kilo leichter und blasser Krankenhauspatient geworden.
Doch ich habe überlebt und die schwere Blutvergiftung überstanden. Meine Organe haben sich erholt.

Aus der Kunst zu leben und meinen Alltag zu bewältigen, wurde für mich ohne große Vorwarnung die Kunst zu überleben.
Auch wenn mich die Worte vom Primar nachts noch immer aus dem Schlaf reißen, als er mir bei meiner Entlassung nochmals deutlich und mit aufgerissenen Augen gesagt hat: „Wären sie kein ansonsten gesunder Mensch und 40 Jahre älter, wären sie an diesem Infekt sicherlich gestorben.“

Woher ich mir den bakteriellen Infekt geholt habe, das konnten die Ärzte nicht sagen, ich weiß es auch nicht und ich muss es auch nicht wissen.
Ich bin froh, mich erholt zu haben und suche nun meinen Weg zurück in den Alltag.

Meinen Platz habe ich da längst gefunden.
Ich wohne in Salzburg, arbeite als findiger Redakteur bei einem etablierten Fernsehsender, habe einen tollen Freundeskreis und auch mit den Kollegen von der Arbeit gehe ich abends gerne einmal was trinken. Solange halt kein Corona dazwischenkommt.
All das war kurz nach der Zeit auf der Intensivstation aber unmöglich.
Ich hatte keine Kraft, mich mit wem zu treffen, geschweige denn zu arbeiten oder alleine in Salzburg zu wohnen.
Ich konnte nicht einmal richtig gehen.
Unglaublich, wie schnell der eigene Körper abbaut und sich Muskeln, die ich vorher schon kaum hatte, einfach verabschieden und mich in den Ruhestand schicken wollen.

Dafür war ich aber zu unruhig. Auch wenn sie mich anfangs nicht tragen wollten, bin ich schnell wieder auf die Beine gekommen. Vom künstlichen Koma hatte ich noch tagelang ein Gefühl von Benommenheit, vermutlich hat es sich so angefühlt wie ein langer Jetlag. Das waren auch wirklich ordentliche Turbulenzen, die ich da mitmachen musste.
Doch die Ausflüge in die Natur, Spaziergänge, ein paar Fitnessübungen und vor allem viel gutes Essen von Mama und Papa haben mich wieder hingekriegt.
Ein Kunstwerk. Ich will nicht wieder pathetisch klingen, aber damit möchte ich auch Danke sagen. Den Ärzten und vor allem Krankenpflegern auf der Intensivstation, meinen Eltern fürs Bekochen und Verpflegen daheim und meinen Freunden, zu denen doch mehr gehören, als ich gedacht hätte.
Während meines Tiefschlafs haben sich so viele Menschen gemeldet und auch danach habe ich von so vielen gehört, was ich ihnen bedeute. Auch mit vermeintlich Verflossenen telefoniere ich jetzt wieder. Vielleicht geht sich bald ein Treffen aus. Ich freue mich nach dieser Erfahrung auf jedes neue Abenteuer.
Die Erkrankung hat mein Leben irgendwie auf Reset gestellt. Ein Neuanfang? Alles von vorne?

Nein, nicht ganz. Vieles war schon gut, so wie es war.
Vor allem mein Umfeld zählt da dazu.
Aber ich weiß nun auch, wie schnell es gehen kann, dass sich alles innerhalb weniger Stunden ändern kann, der Zug einfach ohne einen abfährt oder einen gleich überrollt, obwohl man nicht einmal auf den gefährlichen Gleisen steht, sondern einfach Passagier im Leben sein möchte.
Lebe jeden Tag als wäre es dein letzter ist nun wirklich ein pathetischer Spruch wie von einem billigen Wandkalender heruntergerissen. Aber jeder von uns kennt seine Bedeutung und es ist wie bei vielem Profanen doch etwas Wahres dran. Auch wenn ich hoffe, dass dieser letzte Tag für keinen von uns schon heute ist, sondern in ganz weiter Ferne, und wir noch viel Zeit haben für unser größtes Kunstwerk: (Über-)Leben.


Fabio Frötscher, MJ 2014

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