Netzwerke und Verbindungen - "Ungeschriebene" Vereinskultur

Das soziale Gefüge eines Vereins ist weitaus mehr als nur ein Zusammenschluss Gleichgesinnter.
Eingebettet in die Gesellschaftsstruktur wirken sie als Dreh- und Angelpunkt in den Gemeinden und vernetzen sich in allen Bereichen ihres Wirkungsfeldes.

Um das System der Tradierung „nicht niedergeschriebener“ Vereinskultur genauer zu erfassen, ist es sinnvoll, zunächst einen Blick auf die Geschichte des Vereinswesens zu werfen: Vereine, oder ursprüngliche „Klub-Gesellschaften“ bildeten sich vermehrt, mit Ausnahme einiger Vorläufer, im 18 und 19.Jahrhundert aus. Zweck und Richtung dieser Gemeinschaften waren vielfältig: Zum einen entstanden Klubs, die es sich zum Ziel gemacht hatten, wohltätig zu sein, zum anderen widmeten sie sich der Wissenspopularisierung und Erwachsenenbildung, wie etwa frühe Lesegesellschaften oder naturforschende Gemeinschaften, wiederum andere dem wirtschaftlichen Austausch, so etwa Handwerker- und Gewerbevereine, oder Gesellen- und Arbeiterassoziationen, bis hin zu Freimaurerlogen, Musik- und Kunstvereinen, literarischen Gesellschaften der Aufklärung, politischen Klubs und natürlich allgemein geselligen Vereinen. 

Mit den heutigen Vereinen blieb ihnen das Streben um die pädagogische Wirksamkeit für die eigenen Vereinsmitglieder gemein. Das Bemühen um Wissensvermittlung an ihre Mitglieder, die Weitergabe von Wertehaltungen und die gegenseitige Belehrung der gleichberechtigten Vereinsmitglieder zählten zu den Idealen der Vereinskultur. Auf diese Weise wurden in den Vereinen oft ausgebildete Fachleute mit interessierten Laien zusammengeführt. Das Ideal der gleichberechtigten Begegnung von Menschen stand im Vordergrund. Dem Ideal nicht völlig getreu, bildeten sich bald Binnenhierarchien in den Vereinen heraus, die – oftmals durch die Satzung bekräftigt – in „aktive“, den Verein weiterentwickelnde Mitglieder und „passive“, den Empfängern des pädagogischen Wohlfahrtskonzepts der Vereine, unterschieden. 

Wissensinhalte und „ungeschrieben“ Vereinskultur als Objekte der Tradierungsformen

Bald schon hatte das Bildungsideal der Vereine so hohen Stellenwert in den Städten erreicht, dass es für den gebildeten Mann (den Frauen wurde der Zutritt lange Zeit verwehrt) ein „Muss“ war, einem Verein beizutreten, da nur einigen wenigen geächteten Sonderlingen die gebildete und gesellige Welt der Vereine verwehrt blieb.

So hieß es zum Beispiel in den Gesetzen des Frankfurter Museum von 1808:

„Der Zweck aller Mitglieder dieser Verbindung ist durch wechselseitigen Ideevertreib ärmlicher Einseitigkeit entgegenzuarbeiten, und durch Verbindung der ästhetischen Cultur mit der moralischen, die höchste Cultur der Menschheit nach Kräften zu befördern.“

Dem Leitbild der allgemeinen Menschen- und Bürgerbildung folgend entrichten auch heutige Vereine ihren Tribut. Tradiert werden, neben dem humanistischen Ideal ganzheitlicher Selbstbildung des Menschen ihrer Mitglieder, soziokulturelle Werte wie Verlässlichkeit, Loyalität, Hilfsbereitschaft und Pflichtbewusstsein, Teamfähigkeit, Umgangsformen und Sozialverhalten, Persönlichkeitsbildung, Selbstvertrauen …uvm.
Der Mehrwert, der durch die Tradierung „ungeschriebener Vereinskultur“ entsteht, ist mehr als eine bloße Bereicherung in den Gemeinden. Geteilte Wertehaltungen lassen nicht nur zwischen den Vereinsmitgliedern Netzwerke und Verbindungen entstehen, sondern erzeugen eine Wechselwirkung zu allen an der Gesellschaftsstruktur teilhabenden Subjekten.


Karin Varda, MJ 1997

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