Malerei - ein "Vehikel", sich fortzubewegen

Es mag für ungewöhnlich gelten, wenn es in einer einzigen Familie aus dem Paznauner Dorf Galtür gleich vier Kinder in die Richtung der Bildenden Künste zieht, wie es bei uns der Fall war.  Erklärbar, wenn man es denn erklären will, ist dies wohl am ehesten genetisch, z. B. zeigte schon der Vater in jungen Jahren eine ausgesprochen künstlerische Neigung.

Während der Schulzeit am Paulinum war es dann der damalige Professor für bildnerische Erziehung Josef Opperer, der begabte und interessierte Schüler auf liebenswerte Weise zu fördern verstand. Ich erinnere mich an eine Gelegenheit bereits in der ersten Klasse, als mir das Abzeichnen eines ausgestopften Tieres besonders gut gelang, und er zu mir sagte „Du wirst wohl ein Maler werden“ – was sich ja bewahrheitet hat.

Nach den – in der Erinnerung sehr langen – Schul- und Heimjahren und der Matura wandte ich mich nichtsdestoweniger nicht gleich der bildenden Kunst zu, sondern studierte zunächst aus einem bestimmten Interesse an der Literatur zwei Jahre lang Germanistik an der Universität Innsbruck. Dann ging ich, gleichzeitig mit meinem jüngeren Bruder Georg, an die Akademie der Bildenden Künste, wo bereits der ältere Bruder Luis (beide auch Schüler des Paulinums) seit zwei  Jahren studierte. Wesentlich später sollte auch noch die jüngste Schwester Wally am selben Institut sein, bei meinem ehemaligen Studienkollegen Gunther Damisch als Professor.

Mein Grafikstudium an der Akademie währte indessen nur zwei Jahre, sodass auf mich wenigstens teilweise der Begriff Autodidakt zutrifft, da ich mich auch im Anschluss, zurück in Innsbruck, in meinem ersten Atelier fast ausschließlich der Malerei zuwandte.

Sehr verallgemeinernd könnte man in meiner Auffassung künstlerisches Tun, besonders atelierbezogenes wie die Malerei, als „Vehikel“ betrachten, das einen, sinnvoll angewandt, befähigt, sich fortzubewegen, ohne den Ort verlassen zu müssen. Dies bedeutet natürlich nicht, dass es unwichtig wäre zu reisen und sich diversesten Eindrücken zu öffnen, was bei mir auch durchaus eine Rolle gespielt hat und spielt (Türkei, Brasilien, Thailand). Doch würde ich mich, im Gegensatz zu manch anderen, eher als „sesshaften“ Künstler bezeichnen, dem „Reisen“ in der oben angedeuteten übertragenen Bedeutung über weite Strecken genügt.

In gewissem Widerspruch dazu bin ich seit jeher ein begeisterter Betrachter auch alter Kunst. Über den deutschen Maler und Lehrer Raimer Jochims habe ich gelesen, dass er seinen Schülern geraten hat, sich neben dem zeitgenössischen auch einen alten Meister als Lehrer auszusuchen. In solcher Funktion könnte ich, wechselnden Perioden entsprechend, mehrere nennen, etwa Caspar David Friedrich oder Rembrandt.

Seit dem Beginn meiner bisherigen aktiven Zeit in den frühen 1980-Jahren haben sich im Bereich der Bildenden Kunst enorme Wandlungen ereignet, auf die zu reagieren – je nach Lagerung der eigenen Interessen und Veranlagung zustimmend oder im Eigenen beharrend – unumgänglich war. Die Beschreibung einer individuellen künstlerischen Entwicklung ist zwar eher Aufgabe professioneller Kunsthistoriker, doch ganz verkürzt  und punktuell  hier ein Versuch.

Der Beginn meiner aktiven Betätigung als Maler fiel mit der Zeit der „Neuen Wilden“ zusammen, was bei mir zu deutlich erkennbaren Resonanzen geführt hat und mich recht bunte und bewegte Bilder machen ließ.

Auch für die folgende Periode, in der viele Maler sich strengeren Formdenkens und maßvollerer Gestaltungsweisen besonnen haben,  trifft dies zu – auch in meiner Arbeit gab es eine solche Tendenz zu strengerer Ordnung, die mich in immer größere Nähe zur Architektur brachte. Das betrifft bereits die Zeit nach der Jahrtausendwende.

Die Bildende Kunst in ihrem gegenwärtigen Stand ist  bekanntlich längst nicht mehr auf die klassischen Kerngebiete wie Malerei, Bildhauerei einzugrenzen, ließe sich für mich eher mit einem nach allen Seiten hin ausfransenden Gewebe vergleichen (deskriptiv, nicht wertend zu verstehen). Es sind die verschiedensten Verbindungen, Überschneidungen zwischen den künstlerischen (nicht nur bildnerischen) Disziplinen, aber auch zu Wissenschaften möglich und legitim geworden, was einerseits für viele Befreiung und Bereicherung bedeutet, doch für den Kunstschaffenden auch auf der schwierigen Voraussetzung fußt, in mehreren Gebieten möglichst firm sein zu müssen.  Nur so erscheint mir spartenübergreifendes Arbeiten sinnvoll.

Auch wenn es bei mir zeitweise zu Überschneidungen mit räumlichen, eher architektonisch als bildhauerisch zu nennenden Gestaltungsformen kommt, ist doch mein Standpunkt ein klar den Mitteln der Malerei verpflichteter. Nach wie vor sehe ich hierin ein offenes Entwicklungsfeld. Entwicklung muss dabei durchaus nicht nur ein lineares Voranschreiten bedeuten, auch Rückgriffe, ein scheinbares Rückwärts kann sich als probates Mittel erweisen, etwas voranzutreiben. Das erfahre ich gerade gegenwärtig, da „überwunden“ geglaubte figurale Elemente wieder auftauchen.
Was seit sehr langer Zeit einen Teil meiner Arbeit ausmacht, ist die Gepflogenheit, Bilder gedanklich und formal in parallel geführten Zeichenbüchern (von mir Konzept-Bücher genannt) vorzubereiten und zu begleiten. Auf diese Weise ist  im Verlauf meiner Entwicklung schon eine kleine hauptsächlich gezeichnete „Bibliothek“ entstanden.

Einer besonderen Erwähnung innerhalb meines Werkes  bedarf auch die Auftragsarbeit, die ich für mein Herkunftsdorf Galtür ausgeführt habe und die den Titel „Memento“ erhalten hat. Es handelt sich um die Gestaltung eines Gedenkraumes im Alpinarium zur Erinnerung an die Lawinenkatastrophe von 1999, für den ich ein großformatiges Triptychon gemacht habe.  Was diese Arbeit zu einer besonderen werden ließ, war die aus der eigenen Verbundenheit erwachsende Verantwortlichkeit, und sie hatte durchaus impulsgebende Wirkung für meine weitere Entwicklung.


Arthur Salner, MJ 1975

ein Beitrag zum Pauliner Forum 74 - aus Platzgründen exklusiv auf unserer Homepage