Eine Reise quer durch Europa

Kurz nach der Matura ist Mann/Frau so frei, wie man nie mehr im Leben sein wird. Ich erinnere mich noch genau daran, wie uns damals Professor Lukasser nahelegte, diese Freiheit gut zu nutzen, denn sie ist einzigartig und kommt nicht wieder. Die Frage, wie ich diese Freiheit ausleben wollte, stellte sich für mich schon einige Zeit vor der Matura und mir wurde klar, dass ich zumindest für eine Zeit lang mein Glück im Ausland suchen wollte. Ich schätze, das ist genau der Punkt im Leben, der mit dem ehemaligen „auf die Walz gehen“ vergleichbar sein könnte, denn wohin genau es mich verschlagen würde bzw. was ich dort machen wollte, stand lange nicht fest. Ich wusste nur, dass ich einmal über den Tellerrand hinausschauen und Tirol für eine gewisse Zeit den Rücken kehren wollte, um etwas „Neues“ kennenzulernen. Ziemlich spontan schrieb ich mich daher in eine Wirtschaftsuniversität in Südfrankreich ein, planlos, was ich eigentlich mit dem Wirtschaftsstudium zukünftig anfangen möchte.

Das mulmige Gefühl in meinem Magen, als ich schließlich ins Auto stieg und die Reise Richtung Süden begann, werde ich wohl nie mehr vergessen. Noch nie war ich länger von zu Hause weg, schon gar nicht alleine, und ich hatte nicht den geringsten Plan, was auf mich zukommen würde. Das sind wohl die Momente, welche in der jeweiligen Situation ziemlich beängstigend wirken und Jahre später mit einem Lächeln im Gesicht erzählt werden; denn das Projekt, welches ich an diesem Tag begann, wurde für mich durchaus zum persönlichen Erfolg. Nach drei Jahren in Südfrankreich schloss ich meinen Bachelor ab und dann hieß es: Auf zu neuen Zielen! Zu diesem Zeitpunkt fehlten mir jedoch immer noch konkrete Pläne, in welcher Branche ich zum Beispiel zukünftig tätig sein möchte. Wie es der Zufall so will, ergab sich für mich gleich anschließend ein Masterstudium in Kooperation mit einer Schweizer Bank in Frankfurt. Auch wenn ich weder eine Ahnung vom Bankenwesen hatte noch die Stadt kannte, nahm ich diese Gelegenheit mit Freude wahr.

Wieder ein Moment, der sich in meine Erinnerung eingebrannt hat, war mein erster Tag in Frankfurt. Nach einer siebenstündigen Zugfahrt aus dem damals sonnigen Tirol kam ich in einem verregneten und kalten Frankfurt an. Am hektischen Hauptbahnhof ausgestiegen (der nicht unbedingt das schönste Fleckchen der Stadt ist), sah ich zum ersten Mal die Hochhäuser, welche mir grau und kühl entgegenstanden und wenig einladend wirkten. Das einzige, das mir durch den Kopf ging, war: „Hier willst du nun die nächsten Jahre verbringen?“.

Der anfänglich ernüchternde Start entwickelte sich aber nur kurze Zeit später zu einer Chance, die ich positiv zu nutzen lernte. Ich begann mein Studium und lernte viele neue Menschen aus verschiedenen Ländern kennen. Auch der Start in der Bank verlief ausgesprochen reibungslos.

Frankfurt ist sehr international und niemand ist ein Fremder hier. Neuankömmlinge werden mit offenen Armen empfangen. Die Stadt hat außerdem weit mehr als Hochhäuser und Banken zu bieten. Im Sommer gibt es fast im Wochentakt Feste, ein reiches Kulturangebot (viel mit Bezug auf den wohl bekanntesten Sohn der Stadt: Goethe) und man ist schnell in der Natur, ob in den „Bergen“ im Taunusgebirge oder entlang des Rheins. Nur eine Sache, an die ich mich wahrscheinlich nie gewöhnen werde, ist die lokale Küche, mit der Grie Soß (eine Grüne Sauce basierend auf 7 Kräutern) und dem Eppelwoi (einer Art stark säuerlicher Most) als ihre Hauptbestandteile. Wie jede Großstadt hat jedoch auch Frankfurt ihre Schattenseiten. Speziell das Viertel um den Bahnhof ist von Armut geprägt, was einem Tiroler am Anfang etwas bizarr erscheinen mag.

Nach eineinhalb Jahren in Frankfurt kam mit Ende meines Masterstudiums auch langsam meine Zeit in der Stadt zum Ende. Durch meinen Arbeitgeber ergab sich eine Anstellung in der Firmenzentrale in Zürich. Die zwei Städte, Frankfurt und Zürich, könnten fast nicht unterschiedlicher sein. Obwohl Zürich eine sehr lebenswerte Stadt ist und nicht nur über eine ausgezeichnete Infrastruktur, sondern auch über wunderschöne Naherholungsgebiete verfügt, stellten sich die Eidgenossen gegenüber Fremden als eher reserviert heraus. Schon nach kurzer Zeit in Zürich wurde mir klar, dass meine Arbeitsstelle dort nicht meinen beruflichen Erwartungen entsprach. So endete meine Zeit in der Schweiz früher als geplant und ich kehrte zurück nach Frankfurt, um ein weiteres Masterstudium, maßgeschneidert auf die Branche, in der ich zukünftig tätig sein möchte, zu absolvieren. Zurzeit arbeite ich an meiner Masterarbeit, bevor mich mein nächstes berufliches Abenteuer im kommenden September nach London führen wird.

Rückblickend kann ich sagen, dass ich keine meiner getroffenen Entscheidungen im Nachhinein bereue. Jede Erfahrung, ob nun gut oder schlecht, prägte meine persönliche Entwicklung und ließ mich die Welt aus mehreren Perspektiven betrachten. Natürlich gehört ein wenig Mut dazu, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Viel wichtiger ist jedoch eine positive Einstellung gegenüber Neuem und sich selbst.

Eins wird sich jedoch niemals ändern: Egal wo ich gerade lebe, es gibt nichts Schöneres, als nach längerer Zeit im Ausland zu Familie und Freunden nach Tirol zurückzukommen, denn Daheim bleibt Daheim.


Martin Samitz, MJ 2012

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