Nicaragua

Zu meinem Abenteuer inspiriert haben mich mehrere Erfahrungsberichte junger Altpaulinerinnen und Altpauliner, die nach ihrem Auslandseinsatz in die Aula ihrer ehemaligen Schule zurückkehrten und ergreifende Fotos zeigten, hinter denen noch bewegendere Geschichten steckten. Für mich stand bald fest: So etwas wollte ich unbedingt auch machen! Die Organisation VIDES der Don Bosco Schwestern hat es mir ermöglicht. Nach einem ersten Treffen mit den Verantwortlichen und einigen Vorbereitungswochenenden in Salzburg, einer entwicklungspolitischen Woche in Wien und der Mitarbeit im Don Bosco Kindergarten in Klagenfurt nahm mein Volontariat zunehmend Gestalt an. Auf Estelí, eine Stadt im Norden Nicaraguas, Spanisch zu lernen und sonstige Vorbereitungen (Impfungen, Visum, Flug, etc.) richtete sich von da an mein Hauptaugenmerk. Am 30. September war es dann endlich so weit. Mit gemischten Gefühlen begann ich meine Reise in das Land der Seen und Vulkane. Der Abschied von Familie und Freunden tat weh, stärker jedoch war die Neugier, die Erwartung und die Gewissheit, am Beginn eines neuen, interessanten Weges zu stehen, und meine Motivation, mich auf dieses neue Wagnis einzulassen, war sehr groß. Außerdem hatte ich das nötige Vertrauen, machte ich mich doch in seinem Namen auf den Weg.

Casa de Sor María Romero, ein Jugendzentrum mit Internat und außerordentlicher Schule, war für ein halbes Jahr lang mein Zuhause. Die drei Don Bosco Schwestern haben mich zusammen mit den Internatsmädchen herzlichst empfangen. Die betreuten Mädchen waren größtenteils Halbwaisen und kamen aus armen, zerrütteten Familien. Ihre unglaublichen Schicksale, die Teil meines Alltags wurden, bewegten mich zutiefst. Ihr Glück war es, hier zu sein, um dreimal am Tag eine Mahlzeit zu bekommen, saubere Kleidung auszufassen und eine Schulbildung zu genießen.

Mein Einstieg in die Gemeinschaft war nicht ganz einfach. Täglich erfuhr ich Neues über Kultur und Mentalität und außerdem mussten Sprachbarrieren überwunden werden. Doch schneller als erwartet lernte ich zuzuhören, mich mitzuteilen und schon wurde ich von ihrer Lebensfreude angesteckt. Mitten in der stressigsten Schulzeit hatte ich viele Schützlinge zur Nachmittagsbetreuung. Zehn aufgeweckte Mädchen, im Alter von 4-14 Jahren, bestürmten mich gleichzeitig und verlangten mir so einiges ab.

Mein Auftrag war schlicht, aber alles andere als leicht: Hilf einfach, wo’s geht. So gestaltete sich mein Alltag äußerst spannend und abwechslungsreich. Bereits um 5 Uhr war Tagwache. Nach einer kalten Dusche und dem Morgengebet begleitete ich einige Kinder zur Schule. Vormittags durfte ich dann zu meiner großen Freude Gitarre unterrichten. Die Schülerinnen waren mit so viel Begeisterung und Temperament dabei, dass so manche Gitarre danach nicht mehr spielbar war. Besonders fasziniert haben mich auch die gemeinsamen Bastelstunden. Dort gelang es den Kindern, sich zu konzentrieren und einmal Ruhe zu finden. Außerdem durfte ich den Internatsmädchen bei den Hausübungen helfen, mit ihnen spielen, basteln, nähen, singen, tanzen, Theater spielen, kochen, putzen und noch vieles mehr.

Heimweh verspürte ich nur in den Ferien, als die Kinder nicht da waren.

Auch wenn die Arbeit mit den Mädchen ab und zu mühsam und anstrengend war, so war es doch eine wunderbare, erlebnisreiche Zeit mit vielen wertvollen Erfahrungen und Erinnerungen, die ich niemals missen möchte. Diese Kinder, die teilweise wirklich nur das Allernötigste zum Leben haben und mit den kompliziertesten Familienverhältnissen konfrontiert sind, sprühen geradezu vor Lebensfreude. Mit den besten Vorsätzen, viel zu geben, stellte ich irgendwann fest, dass ich im Grunde viel mehr erhalten habe als ich geben konnte.

Und dafür bin ich sehr dankbar! Auch heute noch, ganze sieben Jahre später, denke ich unglaublich gerne an diese prägende Zeit zurück. Mit dem Lehramtsstudium hatte ich schon vor dem Volontariat geliebäugelt. Die endgültige Entscheidung dafür und für die beiden Unterrichtsfächer Spanisch und Katholische Religion habe ich aber dort getroffen – vor allem aufgrund der vielen Begegnungen und Gespräche mit den offenen „Nicas“ und den begeisterten und vertrauensvollen Don Bosco Schwestern. Diese bereicherten nicht nur mein Studium und meinen Unterricht, sondern vor allem auch meinen persönlichen Alltag. Mit einigen von ihnen fühle ich mich auch heute noch sehr verbunden. Gerne teilen wir unsere Sorgen und Freuden miteinander. Seit den Reformen von Präsident Ortega im April 2018, die zu zahlreichen Demonstrationen führten, bei denen hunderte Menschen getötet wurden, haben die Menschen dort mit immer mehr Problemen zu kämpfen. Einrichtungen, wie Casa de Sor María Romero, erfahren vor Ort immer weniger Unterstützung und sind zunehmend auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen.


Magdalena Widner, MJ 2012

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