Berlin - Mein Leben in der Hauptstadt Deutschlands

Berlin, Berlin, will man dahin?
In meinem Fall zunächst eher nicht. Als ich einen Studienplatz an der Universität der Künste bekam, stellte ich mir die Stadt düster, kalt, betoniert und diszipliniert vor. Ich war noch nie in Berlin gewesen, nun zog ich kurzerhand mit Sack und Pack (es war eher nur ein Sack) für das Studium dorthin.

Doch anstelle eines gut koordinierten und gestressten Großstadtlebens schlug mir der von Gras geschwängerte Geruch einer Stadt entgegen, in der Zebrastreifen eher als optional gelten und deren vielleicht größte Errungenschaft die Späti-Kultur ist.

Ich kam im Frühling in Berlin an und erlebte etwas, das meine MitbewohnerInnen meine „Honeymoon-Phase“ nannten – alle Menschen waren superfreundlich in Berlin, es gab superviele Grünflächen und alles war leicht alternativ und verschroben. Die Lebensmittel waren viel billiger als in Österreich, sodass ich das erste Mal an der Kassa erstmals nachzählen musste und die Kassiererin und mich selbst nachhaltig verwirrte.

Am Anfang streunte ich tagelang durch die Stadt, nicht nur, weil ich mich ständig verlief, sondern auch, weil es so viel zu sehen gab: den Berliner Dom, die Museumsinsel, den Fernsehturm, etc. Schnell wurde mir klar, dass es in Berlin bis heute eine ständige Aufarbeitung der Geschichte Deutschlands gibt. Fast an jeder Straßenecke findet man Spuren von der Berliner Mauer oder eine Form von Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Vor allem anfangs, als ich in einer WG an der Grenze Kreuzberg/Mitte wohnte, die nicht weit entfernt vom Potsdamer Platz, dem Checkpoint Charlie und dem Anhalter Bahnhof gelegen war, wurde mir bewusst, wie gegenwärtig die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte sein kann und muss.

Mit großer Freude sah ich dem Umzug nach Berlin aber immer schon wegen einem Aspekt entgegen: nämlich der dortigen LGBTQI+ - Szene. Und tatsächlich ist man als queerer Mensch wohl in keiner Stadt besser aufgehoben als in Berlin. Die Szene ist unglaublich groß und divers, was anfangs auch etwas einschüchternd sein kann, aber keine Angst: Berlin ist die Heimat der anderen und auch wenn alles am Anfang etwas überwältigend scheint, findet man schnell Anschluss in der einen oder anderen Freundesgruppe.

Natürlich ist Berlin als Metropole aus vielen verschiedenen Kulturen und Einflüssen zusammengewachsen und so fühlt es sich fast in jedem Kiez an, als wäre man in einer anderen Welt gelandet. Geht man tagsüber die Einkaufsmeile am Kurfürstendamm hinunter und abends in der Nähe vom Hermannplatz ein Bier trinken, kann man gar nicht glauben, dass dies alles ein und dieselbe Stadt sein soll. Kleiner Berliner Pro-Tipp: Wenn ihr nicht wisst, ob ihr euch im Osten oder Westen der Stadt befindet, schaut einfach mal nach draußen: Gibt es Straßenbahnen? Wenn ja, befindet ihr euch ziemlich sicher im Osten, wenn nicht, im Westen.

Berlin ist allerdings auch eine immer bewegte Stadt. Aus meiner studentischen Perspektive sind fast alle meine Bekanntschaften KünstlerInnen, StudentInnen oder Leute, die in einem richtig vielversprechenden Start-Up arbeiten. Kaum einer scheint für länger als ein paar Monate an einem Platz zu bleiben. Ich selbst bin in zwei Jahren viermal umgezogen, war auf WG-Castings mit fünfzig anderen Menschen und habe so manchen verkaterten Morgen mit Umzugskisten schleppen für Freunde verbracht. Es gibt immer eine Deadline, immer einen nächsten Job, immer eine neue Möglichkeit.

Zum Tempo der Stadt kommt natürlich auch der Rhythmus der berühmt-berüchtigten Party- und Drogenszene Berlins hinzu. Noch nie 48 Stunden im Berghain verbracht? Für alle, die nach Exzess suchen, ist das ohne Zweifel der richtige Ort.

Berlin ist so vielfältig wie seine BewohnerInnen, man kann darin aufgehen oder wie in jeder Stadt in der Masse verschwinden. Als ich nach Berlin gezogen bin, kannte ich dort keinen einzigen Menschen und ich war nur für die Aufnahmeprüfung an der UDK einmal vorher in der Stadt. Bereue ich den Umzug? Auf keinen Fall! Genieße ich mein Leben dort? Zu 100 Prozent! Eine Stadt für immer? Das weiß ich noch nicht. Aber noch sind meine Füße noch nicht müde vom Laufen.


Lisa Wentz, MJ 2013

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