Was forscht ein Mathematiker?

Wenn ich manchmal gefragt werde, was ich beruflich mache, so kann ich ganz einfach sagen „Ich bin Mathematiker“. Und auf die Frage, ob ich da den ganzen Tag rechne, muss ich antworten, dass mein Hauptaugenmerk auf der Forschung liegt. Dann ergibt sich meist die Gegenfrage „Ist da nicht alles schon längst bekannt? Was gibt es da noch zu forschen?“
Das „Rechnen“ verbinden viele vielleicht mit der Situation, wie sie vor Jahrhunderten wirklich vorherrschte. Als der Engländer Brigg die ersten (vollständigen) Logarithmentafeln lieferte, hatte er dazu 20 Jahre lang (täglich von früh bis abends) nur gerechnet.

Meist versuche ich dann zu erklären, dass es viele Fragestellungen aus den Naturwissenschaften (Physik, Chemie, auch Biologie) oder Technik gibt, die sich durch Gleichungen oder sogenannte Differentialgleichungen beschreiben lassen. Allerdings weiß man häufig, dass diese Gleichungen zwar Lösungen besitzen, aber man kennt kein (oder es gibt auch kein) Verfahren, diese Lösungen exakt zu bestimmen. Daher ist man bestrebt, mit möglichst wenig Aufwand (Zeit ist Geld!) die Lösungen möglichst gut anzunähern. Dieses weite Feld der Forschung wird oft als „Numerik“ beschrieben.

Mein eigenes Forschungsgebiet ist ein wenig anders gelagert – es sind die Funktionalgleichungen. Ich muss dazu ein wenig ausholen und hoffe, dass sich die meisten noch daran erinnern, von sogenannten „Winkelfunktionen“ Sinus und Cosinus in der Schule gehört zu haben (mehr ist jetzt nicht nötig!). Da lernt man auch sogenannte Additionstheoreme, dass nämlich für Winkel x und y die Gleichungen
    sin(x+y) = sin(x).cos(y) + cos(x).sin(y)
    cos(x+y) = cos(x).cos(y) - sin(x).sin(y)
gelten. Nun kann man folgende Frage stellen: Hat man zwei Funktionen – nennen wir sie einfach f und g – welche diese Gleichungen erfüllen, für die also gilt
    f(x+y) = f(x).g(y) + g(x).f(y)
    g(x+y) = g(x).(y) - f(x).f(y)
für alle Zahlen x und y – müssen das dann die genannten Funktionen Sinus und Cosinus sein?
Der Hintergrund für diese Fragestellung ist der folgende: Man kennt zwar viele Eigenschaften der Funktionen Sinus und Cosinus, aber bei Messungen in den Naturwissenschaften (ein typisches Beispiel: Das sogenannte Kräfteparallelogramm in der Physik) erhält man einige wenige Eigenschaften, wie etwa die angeführten Gleichungen, und soll nun daraus weitere Schlüsse ziehen. Und es zeigt sich bei diesem Beispiel, dass wirklich unter ganz schwachen Zusatzannahmen nur die erwähnten Funktionen Sinus und Cosinus diese Gleichungen erfüllen. (Dieses Problem wurde übrigens bereits Mitte des letzten Jahrhunderts gelöst)

Mit solchen Fragestellungen befasse ich mich. Ein Beispiel dazu möchte ich noch anführen. Vor einigen Jahren konnte ein Physiker das thermodynamische (= energetische) Verhalten einer Kette von sehr kalten Atomen (mit Temperatur in der Nähe des absoluten Nullpunkts) durch eine Funktionalgleichungen beschreiben. Nun stellt sich die Frage nach den Lösungen dieser Gleichung. Und das Spannende daran ist, dass man zwar für „sehr viele“ Parameterwerte zeigen kann, dass es dafür „schöne“ Lösungen gibt, aber es gibt noch immer keine Beschreibung, für welche Parameterwerte es keine „schönen“ Lösungen gibt – dafür findet man dort einzelne Punkte, wo sich auch „wilde“ Lösungen völlig „brav“ verhalten. Mein Rechner arbeitet noch, solche Punkte zu finden…..
Und für den Parameterwert ½ sieht die Lösung ganz einfach aus: Grafik


Wolfgang Förg-Rob, MJ 1975

 

ein Beitrag zum Pauliner Forum 71 - aus Platzgründen exklusiv auf unserer Homepage